*English below
Kreativität ist so eine Sache. Klingt erstmal gut und ist für die meisten ein Ausgleich zur Welt, der Arbeit und all den Dingen, die wir tagtäglich tun müssen, egal ob wir wollen oder nicht. So war es für mich auch. Vor allem meine lyrischen Texte aber auch meine Zeichnungen und das Malen waren mein Leben lang mein Ventil für alles andere. Meine Gedichte sind es noch, veröffentlicht hin oder her. Ob, wann oder wie sie kommen – darauf habe ich keinerlei Einfluss und daran habe ich mich gewöhnt. Das ist gut so. Schreiben an sich war und ist für mich immer noch irgendwo zwischen Müssen und Wollen. Im Studium musste ich wissenschaftliche Arbeiten schreiben, ich muss E Mails oder auch Anträge schreiben. Ich will meinen Lieben schreiben. Schreiben ist also vor allem Ausdrucksmittel in jeder Hinsicht, aber meistens Mittel zum Zweck.
Mit dem Zeichnen ist das anders geworden. Ich zeichne viel zielgerichteter, für Aufträge, für euch. Immer noch intuitiv und es fühlt sich – ebenso wie das Tätowieren – nicht auf die gleiche Art nach Arbeit oder Müssen an wie zum Beispiel die Steuererklärung. Das ist ja auch der Witz an der ganzen Selbstständigkeit: Möglichst viel Zeit mit dem verbringen, was ich gerne tue. Aber ich habe das am Anfang unterschätzt. Den Tag zu einem großen Teil mit kreativer Arbeit zu verbringen ist fordernder als gedacht. Und ich habe gemerkt, dass ich auch dazu einen Ausgleich brauche. Ich muss ganz anders mit mir und meinen geistigen Ressourcen umgehen. Weil einfach funktionieren eben nicht reicht. Einfach funktionieren ist so ziemlich das Gegenteil von kreativ sein. Es gibt Tage, da muss ich mich von der Welt zurückziehen und tatsächlich nichts tun. Fällt mir schwer. arbeite ich dran. Und ich arbeite auch an ein paar ganz konkreten Strategien, um meine Kreativität zu fordern und zu fördern – je nachdem was notwendig ist. Manchmal ist es eine Auszeit, ein Spaziergang oder eine ganz ganz dumme Serie. Oft ist es Musik. Einfach Freiräume, die ich versuche mir zu schaffen und auch zu nehmen.
Seit einigen Woche ist noch eine neue Strategie dazu gekommen: die Morgenseiten. Das Konzept klingt einfacher als es ist. Jeden Morgen schreibe ich drei Seiten. Ohne jedes Ziel, ohne besonderen Wert auf Schönheit oder Sinn zu legen. Einfach drauf los was so durch meinen müden Kopf schwirrt bis die drei Seiten voll sind. Dann Klammer drum und ab in den Tag. Die Seiten dürfen nicht wieder gelesen werden. Also irgendwann schon, sofern ich sie dann noch entziffern kann, aber eben erst Wochen oder Monate später. Wie gesagt, klingt einfach. Ist es nicht. Jeden – wirklich jeden! – Morgen schreibe ich diese verdammten Seiten. Das kostet Zeit, etwa 30 bis 40 Minuten. Die muss ich früher aufstehen und ich hasse nichts so sehr wie frühes Aufstehen. Jeden Morgen heißt auch jeden Morgen an dem ich verschlafe, eigentlich Zeitdruck habe, im Urlaub oder – stellt es euch vor – verkatert bin. Jeden verdammten Morgen. Ist wie ein straffer Trainingsplan, nur eben für den Kopf. Aber der Effekt ist unglaublich. Erstmal werde ich meinen inneren Stress etwas los, sortiere ihn, noch bevor ich in den Tag starte. Und dann scheint dieser morgenmufflige, griesgrämig müde Zustand für mich sehr erleuchtend zu sein. Es fühlt sich an, als würde ich mich selbst therapieren. Ich habe in den letzten Woche mehr über mich gelernt und reflektiert als ich für möglich gehalten hätte. Ich kenne das Gefühl von meinen Gedichten. Plötzlich scheint der Stift in meiner Hand Gedanken, Gefühle und Einsichten aus mir zu locken, die ich bisher nicht greifen konnte. Wie dieser eine Drink, der plötzlich deine Zunge löst und während du sprichst, weißt du, dass die Worte schon immer da waren, wahr sind, du sie aber bisher noch nicht mal für dich klar formuliert hattest.
Lange rede kurzer Sinn: Kreativität ist genauso wundervoll wie anspruchsvoll und will trainiert und gepflegt werden. Das versuche ich. Jeden Tag wieder. Bisher war der entscheidende Schritt für mich, das zu realisieren und meine Kreativität wirklich ernst zu nehmen. Ihr den Platz in meinem Leben einzuräumen, den sie verdient. Diesem Teil von mir zu geben was er braucht. Meine Kreativität ist mein Kapital und ich bemühe mich, das nicht als selbstverständlich zu betrachten sondern ebenso zu hüten wie ein:e Sänger:in die Stimme oder Leistungssportler:innen ihren Körper.
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The thing about creativity. Creativity sounds nice and most people use it for balance. To compensate for their work and all the things we have to do no matter if we want to. It has been for me like this too. Particularly my poems but also my drawings were my outlet for everything. My poems still are, to publish them did not change that. They come to me whenever needed and I can´t control them. I am used to this and it is fine for me. Normal writing always was more of a tool, something you use to communicate with others and to express yourself.
But my approach to drawing changed a lot. I am drawing more purposeful, for custom designs, for you. I am still working intuitively and it doesn´t feel like work or something I have to do in the same way writing my tax declaration does. Like tattooing itself, I am totally in love with the process. That’s the whole point of being self-employed: Spending as much time as possible with things I love doing. But I also underestimated it. Creative work still is work and still can be tiring. I realized that I need to balance this as well. That I have to handle my mental resources with caution. Because it is not enough to just function. In fact, function is the opposite of creativity. So some days I have to do nothing. This is hard for me but I am trying. I am trying to find strategies for myself to handle my creativity well. These strategies vary. Sometimes I need a timeout or a walk and sometimes I need a very stupid tv show. Music often helps a lot. I am trying to give myself space and also to take this space.
In the last few weeks, I have found another strategy: morning pages. It sounds easier than it is. You have to write three pages in the morning. These pages don´t need to be well-written or anything. Just write three pages before doing something else. You shouldn´t read these pages afterward, maybe a few weeks later. But I doubt that I will be able to decode my tried handwriting. Sounds simple but is hard. Literally every morning I have to write these pages. First of all, I need time for that, 30 to 40 minutes. I have to get up early for that and there is hardly anything I hate more than getting up early. So that’s the first obstacle. Every morning means also every morning I am late, stressed, or hung over. Every damn morning. It is like a straight workout but for the mind. But the impact is amazing. First of all, I get rid of a lot of stress before I start my day. And then this tried grumpy state of mind seems to be very enlightened. I have learned more about myself in the past few weeks than I could have imagined. I reflected a lot. I know this kind of flow from my poems. Suddenly the pen seems to drag out thoughts, feelings, and insights which I couldn´t grasp beforehand. Like this one drink that unexpectedly loosens your tongue and you realize the truth while speaking.
Long story short: creativity is as wonderful as challenging and has to be trained. I try to take care of my creative potential every day and every day again. The crucial moment for me was when I realized that. I have to take my creativity seriously. I have to create space for it and I am worthy of this space. My creativity is my most important resource and I have to treat it like a singer their voice or an athlete their body.